Die Wahrheit ist sexy

25.04.2017 von Blog 1 comment

Donald Trump war mal wieder richtig sauer. Das ist er ja so oft, dass man zuweilen den Überblick verliert, gegen wen sich seine Wut gerade überhaupt richtet. Sicher ist nur: Es kann jeden treffen. Die mexikanische Regierung, Arnold Schwarzenegger, eine Kaufhauskette. Ja, sogar Meryl Streep. Am liebsten aber wütet der US-Präsident gegen Journalisten, die er schon mal als „Abschaum“, „schreckliche Leute“ und „Versager“ bezeichnet. Man ahnt: Der Mann mag keine Reporter.

Und am wenigsten mag er sie, wenn sie von der großen New York Times kommen. „Die Zeitung, die versagt so grandios“, sagt er, „sie schreiben so viele schlechte Geschichten über mich.“ Und sie sei dabei, zu scheitern.

Selten war Scheitern erfolgreicher.

Denn seit Trump die verbale Axt schwingt, geht es mit der New York Times mal so richtig bergauf. Kolumnist Jim Rutenberg kann deshalb gar nicht genug bekommen von Trumps Beschimpfungen: „Jedes Mal wenn er tobt, geht unsere Auflage rauf. Eigentlich hilft er uns unfreiwillig.“

Denn für eine Zeitung, die laut Trump ja kurz vor dem Exodus steht, geht es der Times erstaunlich gut. Im vierten Quartal 2016 wurde eine Rekord-Auflage von drei Millionen gefeiert, in dieser Zeit kamen alleine 276.000 (!) neue Digital-Abonnenten hinzu.

Anderen Medien geht es ähnlich. Das Wall Street Journal und die Los Angeles Times vermelden Rekordzuwächse bei den Abos. Pro Publica, eine stiftungsfinanzierte Organisation für investigative Recherche, freute sich in den ersten zwei Monaten nach Trumps Wahlsieg über Spenden in Höhe von 750.000 Dollar. Und selbst das politisch eher unauffällige Magazin Vanity Fair profitierte von Trumps Zorn. In einer Kritik wurde der Trump Grill das „womöglich schlechteste Restaurant Amerikas“ genannt – woraufhin Trump giftete: „Hat sich irgendwer die richtig schlechten Verkaufszahlen von Vanity Fair angesehen?“ Kurz danach hatte das Magazin 13.000 Abonnenten mehr.

Es herrscht Goldgräberstimmung in einer Branche, die von vielen schon totgesagt wurde.

Die Gründe dafür sind ebenso einfach wie einleuchtend. Medien, die sich nicht einschüchtern lassen, erhöhen ihre Glaubwürdigkeit. Außerdem lechzen die Menschen nach verlässlichen Informationen und vernünftigen Einordnungen – besonders dann, wenn sie einen Präsidenten haben, der sie mehrmals am Tag fulminant verwirrt.

Denn Trump liebt es zu twittern. Wahrscheinlich mag er das sogar deutlich lieber als regieren. Auch sein Vorgänger Barack Obama twitterte. Aber immer so, dass man den Eindruck hatte: Der Mann weiß, was er da tut. Bei Trump kann man sich da nicht so sicher sein. Mal hackt er ein euphorisches „JOBS, JOBS, JOBS“ in seinen Account. Ein anderes Mal droht er Nordkorea in diplomatischer Wild-West-Manier: „North Korea is looking for trouble“. Und wenn er bei einer Rede seinen Anhängern zuruft: „Schaut euch an, was gestern Abend in Schweden passiert ist“, sind nicht nur viele Amerikaner ratlos – sondern auch die Schweden, die keine Ahnung haben, wovon Trump da eigentlich spricht. Und so geht das fast täglich.

Wenn so etwas vom Nachbar aus dem dritten Stock kommt, lohnt sich nicht mal ein Kopfschütteln. Aber wenn der mächtigste Mann der Welt solche Aussagen tätigt, wüsste man schon gerne, warum. Und vor allem: Was das zu bedeuten hat. Man kann dem Ganzen ja schlecht immer selbst nachgehen, so viel Zeit hat kein Mensch. Selbst die größten Redaktionen des Landes kommen kaum noch nach, weshalb nicht wenige von ihnen ihre Rechercheteams personell aufgestockt haben.

Man muss Trump also fast dankbar sein. Denn dank ihm kommt es zu einer Rückbesinnung auf das, was die Medien stark und eigentlich unverzichtbar macht. Man nennt sie ja nicht umsonst die vierte Gewalt im Staat. Sie schauen und hören jetzt wieder ganz genau hin, recherchieren hartnäckig, decken auf, stellen richtig und ordnen ein. Das macht sie so wichtig. So unverzichtbar. Und deshalb auch wieder so begehrt.

Ja. Wahrheit kann sexy sein.

Glücklicherweise ist das kein rein amerikanisches Symptom. Die Universität Würzburg hat kürzlich eine Umfrage der Europäischen Kommission zum Thema Medienvertrauen ausgewertet. Das Ergebnis: 55,7 Prozent der Deutschen vertrauen der Presse. Das sieht auf den ersten Blick nach gar nicht so viel aus. Aber 2015 waren es noch zehn Prozent weniger.

Das zeigt: Auch hierzulande wächst der Bedarf an gesicherten Informationen und wohl überlegten Einordnungen. Denn alleine durch die sozialen Netzwerke entwickelt sich eine Flut an Nachrichten, in der man leicht untergehen könnte. Da bedarf es Anker, an die man sich klammern kann.

Der Unterschied zu den USA: In Deutschland wirkt sich das im Zeitungssegment bisher leider nicht positiv auf die Auflage aus. Noch immer kämpfen viele Blätter ums Überleben. Und noch immer glauben viele Herausgeber, die Antwort darauf ist jedes Mal eine neue Sparrunde. Für die Kollegen bedeutet das viel Arbeit, wenig Zeit für aufwändige Recherchen und kaum Unterstützung. Mehr als schade.

Denn die entscheidende Frage sollte nicht lauten: Wie können wir noch mehr einsparen, um die sinkende Auflage zu kompensieren? Sondern: Wie können wir ein starkes und unverzichtbares Produkt machen, um wieder neue Leser zu gewinnen? Statt immer weiter Personal und Ressourcen zu streichen und statt immer weiter neue zeitraubende Modelle zu entwickeln, sollte man gezielt und durchdacht in Qualität investieren. Also das stärken, was guten Journalismus in allen Zeiten ausgemacht hat. Was ihn so wertvoll machen kann – in jeder Beziehung. Und dem einen oder anderen Herausgeber würde auch die Erkenntnis gut tun, dass man in dieser Funktion bei aller Wirtschaftlichkeit auch eine gesellschaftliche Verpflichtung hat.

Dafür muss nicht erst ein deutscher Trump auftauchen.